|
Ein fränkisches Fürstengrab aus Krefeld-GeIIep
Nachdruck aus: Germania 42, 1964, 188—216.
Seite 7
von Renate Pirling
erner hat diesen eigenartigen, keinem erkennbaren praktischen Zweck dienenden Anhängern eine eingehende Untersuchung gewidmet (35) und nachgewiesen, dass die Sitte, am Schwertgriff eine frei hängende Bommel anzubringen, ursprünglich iranisch war und sich bis in hellenistische Zeit zurückverfolgen lässt. Vermutlich gelangte sie mit dem Attilazug nach dem Westen, wo sie von den germanischen Stämmen aufgegriffen und bis ins 7. Jahrhundert hinein geübt wurde.
In der germanischen Literatur findet sich kein Hinweis auf diesen doch sehr weit verbreiteten Brauch, der sicherlich mit magischen Vorstellungen verbunden war. Das kostbare Material, das für diese Anhänger im Allgemeinen verwendet wurde -in Gellep Meerschaum, Gold und Almandin- spricht dafür, das diesen vom praktischen Gesichtspunkt aus nutzlosen Gegenständen viel Bedeutung beigemessen wurde.
Der mit 1,64 m extrem lange Ango ist bis zur vollständigen Restaurierung seiner Form nach nicht näher zu bestimmen und kann deshalb vorläufig für die Datierung nicht herangezogen werden.
Die Franziska gehört zum Typ Trier A, der in Grabfunden der Stufe II nach Böhner, d.h. ungefähr in der Zeit zwischen 450 und 525 häufig vorkommt. Auch das Fürstengrab von Planig und das Knabengrab unter dem Kölner Dom enthielten Franzisken dieses Typs.
Die 69 cm lange Lanzenspitze, die »Saufeder«, ist, wie der Ango, noch nicht präpariert und deshalb ihre genaue Form noch nicht zu bestimmen. Mit den beiden stabartigen Aufhängern steht sie der Saufeder aus dem Kriegergrab von Hammelburg (36) in Unterfranken nahe, das aus dem späten 5. Jahrhundert stammt. Bei der zweiten kleineren Lanze ist der Schaft nicht mehr vorhanden. Der Schmalsax ist insgesamt schlecht erhalten, die Griffangel stark beschädigt. Lanze und Sax müssen deshalb für die nähere zeitliche Festlegung ausscheiden.

Der Helm gehört zur Gruppe der seltenen, nach allgemeiner und wohl- begründeter Ansicht in Werkstätten des ostgotischen Italien hergestellten Spangenhelme, von denen bis heute 19 Exemplare bekannt geworden sind (37). Von den untereinander eng verwandten Helmen, deren Werkstatt- zusammenhänge bisher noch nicht näher untersucht wurden, steht dem von Gellep der 1955 in Morken im Kreis Bergheim/Erft gefundene am nächsten (38). Er stimmt in den Maßen ziemlich genau mit dem Gelleper Helm überein, die Anzahl der Niete ist
ungefähr dieselbe, das Muster des Stirnreifes: eine menschliche Maske zwischen löwenartigen Ungeheuern, dazwischen traubenpickende Vögelchen zwischen Weinranken, ist, von ganz geringen Abweichungen abgesehen, dasselbe, und auch die Verzierung der Spangen und der dazwischenliegenden Felder stimmt in einigen Details überein, so dass mit Sicherheit angenommen werden darf, dass die Helme von Morken und Gellep aus derselben Werkstatt stammen.
Ohne Parallele auf anderen Helmen ist vorläufig die auf dem von Gellep auf den beiden vorderen Feldern angebrachte Verzierung: ein Fisch, auf dem ein Raubvogel mit dickem, stark gebogenem Schnabel und kräftigen Krallen steht (Abb. 47 b. c.). Entstammten bisher alle Verzierungselemente auf den Spangenhelmen des »Typs Baldenheim« dem frühchristlich-mediterranen Bereich, so gilt dies für das Fisch-Raubvogelmotiv nicht.
Für eine nähere Datierung der Gräber, in denen sie angetroffen werden, eignen Spangenhelme sich nicht. So kostbare Stücke wurden lange benutzt und wohl auch vererbt, ehe sie einem ihrer Besitzer ins Grab folgten. So wurde der Herr von Morken, der einen fast gleichen und zweifellos zur selben Zeit hergestellten Helm wie den von Gellep besaß, sicher 60- 80 Jahre später bestattet. Eine ähnliche zeitliche Differenz liegt zwischen der Anlage der Fürstengräber von Gültlingen, Planig oder Stößen und Gammertingen (39).

Der Schildbuckel entspricht in der Form dem Typ Trier A1, doch sind die Knöpfe aus Bronze und vergoldet. Mit silberblechbelegten Knöpfen kommen diese Buckel in der zweiten Hälfte des 5. und am Beginn des 6. Jahrhunderts vor (40). Auch im Fürstengrab von Planig fand sich ein solcher (41).
Eine weitere Beziehung zu Planig stellen die beiden Messer mit gold blechverkleideten Griffen und goldenen Ortbändern her (42). Bei den Gelleper Stücken sind die Griffhülsen mit Filigran, bei denen von Planig mit Kerbschnitt verziert, ihnen gemeinsam ist das im unteren Teil quergerippte Goldblech. Weitere Parallelen zu diesen goldblechverkleideten Messergriffen führt Keßler auf (43), ihnen sind noch ein Messer aus dem Frauengrab unter dem Kölner Dom (44) und eines aus Grab 217 des Kreuzgangs von St. Severin in Köln anzufügen (45). Mit ihrer reichen Filigranverzierung unterscheiden die Gelleper Messer sich von allen anderen. Messergriffe mit quergeripptem Goldblech zu verkleiden war im Übrigen schon in
römischer Zeit üblich, wie ein Messer aus einem Grab von Brühl bei Köln zeigt (46).
In dem Knabengrab unter dem Kölner Dom fanden sich zwei Messer,
die zwar keine goldblechbelegten Griffe, wohl aber goldene Ortbänder in U-Form in der Art derer von Gellep tragen (47). Otto Doppelfeld gelang die genaue Rekonstruktion eines mit Draht und Holz versteiften, mit Goldnieten besetzten Lederfutterals, in dem diese Messer steckten. Ähnliches ließ sich in Gellep nicht beobachten.

Eiserne Bratspieße zählen zu den äußerst seltenen Grabbeigaben der Merowingerzeit und scheinen nur in sehr reich ausgestatteten Gräbern vorzukommen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien als Gegenstücke zu dem von Gellep die Spieße von Wiesbaden-Biebrich, Worms, Weimar und Aschersleben (48) genannt. Die beiden letzteren (zwei Männergräber) sind auf Grund ihrer Beifunde in die erste, das Wormser Grab (ein Frauen- grab) in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts zu datieren, während das Kriegergrab von Wiesbaden-Biebrich noch aus dem 5. Jahrhundert stammen dürfte. Einen näheren zeitlichen Anhaltspunkt kann also das Vorkommen eines Bratspießes nicht liefern.
Der reich verzierte Silberlöffel hat ein Gegenstück in dem Schatzfund von Desana bei Turin (49) und darf wohl als ein im ostgotischen Italien hergestelltes lmportstück betrachtet werden. Ein ganz ähnlicher Löffel kam vor einigen Jahren in einem Frauengrab der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts von Ditzingen, Kreis Leonberg in Württemberg, zutage (50).
Die besten Parallelen zu dem Taschenbügel aus goldenem Zellenwerk mit Almandinen und blauem, grünem und braunem Glasfluss liefern das Fürstengrab von Planig sowie Grab 319 von Lavoye (51), ersteres aus den ersten Jahrzehnten des 6., letzteres noch aus dem Ende des 5. Jahrhunderts stammend. Weitere Beispiele hat Keßler zusammengestellt (52).

Die Goldschnalle Nr. 26, die Bronzeschnalle Nr. 27 und die kleinen Silberschnallen Nr. 8, 29 und 30 gehören zum Typ Trier A6, der die früheste Form der Schilddornschnallen darstellt. Diese kommen, wie Böhners Untersuchungen ergaben (53), am Ende seiner Stufe II, d.h. in der Zeit um 500, in Mode und sind während des ganzen 6. Jahrhunderts gebräuchlich. Dabei spielt die Form des Schilddorns in chronologischer Hinsicht keine Rolle. Für eine nähere Datierung kommen die Schnallen deshalb nicht in Betracht. Die Bronzeschnalle Nr. 28 mit rechteckigem Bügel und festem
halbrundem Beschlag ist ein Unikum.
Überraschenderweise sind die beiden Glasgefäße des Gelleper Grabes, eine schliffverzierte Schale und eine Henkelkanne, spätrömische Erzeugnisse des 4. Jahrhunderts, vermutlich aus Kölner Werkstätten stammend. Da sie für die Datierung des Grabes nichts besagen, sollen sie hier auch nicht näher behandelt werden.
Höchst interessant, wenn auch wohl nie mehr zu lösen, ist die Frage, auf welche Weise der hochgestellte fränkische Krieger des 6. Jahrhunderts in den Besitz der um rund 200 Jahre älteren kostbaren Glasgefäße gelangte, von denen das eine, die seltene, mit eingeschliffenen menschlichen Figuren verzierte Schale, noch heute unversehrt ist. Soll man wirklich annehmen, dass die zerbrechlichen Gläser sich über rund sieben Generationen hinweg in so unruhigen Zeiten vererbt haben? Man wird wohl auch die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass die Franken in Gellep oder auch andernorts durch Zufall,
etwa bei der Anlage eines Grabes, auf ein solches aus römischer Zeit gestoßen waren, und dabei die Gläser zu tage gefördert hatten, die dann in den Besitz des Herrn von Gellep gelangten und ihm später ins Grab gefolgt waren.
Der eiserne Dreifuß mit Bronzetopf gehört zu den Beigaben, die in Gräbern der Merowingerzeit äußerst selten angetroffen werden. Mir sind an Parallelen nur die Dreifüße von Wiesbaden-Biebrich (54) und Weimar, Grab 21 (55), bekannt. Während der letztere unserem Gelleper Stück ungefähr entspricht, hat der erstere mit ihm nur das Prinzip des dreibeinigen Eisengestelles gemeinsam. Das Grab von Weimar war beraubt und enthielt neben dem Dreifuß nur noch einen Holzeimer mit Bronzebeschlägen ähnlich dem von Gellep Nr. 38. Das Grab von Wiesbaden-Biebrich stammt, wie schon oben bei der Erwähnung des Bratspießes gesagt, aus der zweiten Hälfte des
5. Jahrhunderts. Neben Dreifuß und Bratspieß weist es als weitere Parallele zu Gellep ein bronzenes Hängebecken (56) auf. Derartige Becken begegnen gelegentlich in Fundzusammenhängen des 5. und frühen 6. Jahrhunderts, wie Grabfunde von Mainz-Bretzenheim, Trebur bei Groß-Gerau, Teterow in Mecklenburg und Dourvallier (Dép. Vosges) Grab 2 und 2a, sowie der Hort(?)fund von Bensheim in Hessen zeigen (57).

In Dourvallier kommt ein solches Becken zweimal, wie in Gellep, kombiniert mit einer Bronzeschüssel mit aufgelötetem Dreifußring vor. Diese weit verbreiteten Schüsseln (58) haben teils gehämmerte, teils gegossene Henkel, das letztere ist bei unserem Gelleper Stück der Fall. Getriebene
Bronzeschüsseln mit aufgelötetem Dreifußring wurden gelegentlich als einheimische Nachahmungen gegossener koptischer Bronzeschalen mit Fußring betrachtet. Aus chronologischen Gründen ist dies jedoch unmöglich. Nach unserer Kenntnis erreicht der Import koptischen Bronzegeschirrs das Gebiet nördlich der Alpen nicht vor dem Ende des 6. Jahrhunderts. Nach Ahmungen solcher Gefäße wären also vor dem 7. Jahrhundert nicht denkbar. Die Schüsseln dürften in vorläufig nicht näher lokalisierbaren, in spätrömischer Tradition stehenden Werkstätten im fränkischen Reiche hergestellt worden sein, genau wie das Bronzekännchen (Nr. 37). Direkte römische Vorbilder lassen sich für die Form des Hängebeckens (Nr. 36) nachweisen (59).
Der Holzeimer mit eisernen Reifen und Bronzebeschlägen (Nr. 38) hat Gegenstücke u. a. im Kölner Knabengrab (60) und in Grab 21 von Weimar (61), die beide unserem Gelleper Grab ungefähr zeitgleich sind. Dass die Form aber längere Zeit in Gebrauch war, zeigt das Vorkommen eines derartigen Eimers in Grab 106 von Soest (62), das an die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert datiert werden
muss.
Nach allem über die einzelnen Fundgegenstände Gesagten, darf als sicher gelten, dass das Gelleper Grab in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts angelegt wurde. Es
muss ungefähr gleichzeitig mit den beiden Gräbern unter dem Kölner Dom sein, doch anders als bei diesen kann man bei dem in Gellep Beigesetzten noch nicht einmal den Versuch unternehmen, ihn mit einer historisch bekannten Persönlichkeit in Beziehung zu bringen. Wir müssen einen jener »domini« oder «principes« in ihm sehen, von denen uns die spärliche schriftliche Überlieferung der Zeit berichtet, einen Angehörigen der Schicht des Hochadels, die entscheidend zur Gestaltung der Geschichte des frühen Frankenreiches beigetragen hat und die
hier, im »wilden Osten« des Reiches, offenbar zu erheblichem Reichtum gelangt ist. Auf welche Weise, können wir nicht wissen. Auch die wichtige Frage, ob der Herr von Gellep bereits ein Christ war,
muss unbeantwortet bleiben. Es ist wahrscheinlich, aber keine der Beigaben weist eindeutig darauf hin. Zwar
muss den Darstellungen auf dem Stirnband des Helmes ein christlicher Sinn unterlegt werden. Die traubenpickenden Vögelchen zwischen Weinranken sind sicher eine symbolische Wiedergabe des Paradieses, die menschliche Maske zwischen den löwenartigen Ungeheuern
muss als Darstellung des Daniel in der Löwengrube gedeutet werden (63). Aber dies reicht doch wohl nicht aus, um mit Sicherheit, dar auf schließen zu können, dass der Träger des Helmes ein Christ war.

Die Grabausstattung des Herrn von Gellep enthält alle Elemente, aus denen sich die materielle Kultur seiner Zeit zusammensetzte. Einheimisch-fränkisch sind die Eisenwaffen und wohl auch die Bronzegefäße. Als Erzeugnisse der fränkischen »Hofkunst« darf man die kunstvollen Gold- und Almandinarbeiten: Schwertknauf, Riemenverteiler und Besatzstücke des Pferdegeschirrs, Taschenbügel und Messergriffe betrachten. Ostgotischer Provenienz sind Spangenhelm und Silberlöffel. Die Schwerttroddel und die silber- und goldblechverkleideten Trensen verraten ebenso wie die Almandineinlagen späte Nachwirkungen
der östlich-reiternomadischen Einflüsse, die mit dem Attilazug nach dem Westen gelangten. Mediterrane Einflüsse zeigen die reichen Filigranauflagen auf Fingerring, Zaumzeugbesatz und Messergriffen. Dass die beiden Glasgefäße eindeutig spätrömische Erzeugnisse sind, mutet fast wie ein Symbol für die Kontinuität an, welche die Bedeutung der Gräberfelder von Gellep ausmacht.
Das Fürstengrab ist geeignet, die Bedeutung Gelleps in fränkischer Zeit im neuen Licht erscheinen zu lassen. Darüber hinaus mag der Fund dazu dienen, der augenblicklich im Gang befindlichen Diskussion über die Chronologie des 6. Jahrhunderts neue feste Anhaltspunkte zu geben.
|
|
 |
|