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Ein mittelalterliches Schiff aus
dem Rhein
von Detlev Ellmers und Renate Pirling
m 20. Januar 1972 stieß ein Bagger der Firma
Trapp aus Wesel beim Ausschachten eines weiteren Beckens für den
Rheinhafen der Stadt Krefeld in ca. 10 m Tiefe überraschend auf
bearbeitete Holzreste von beträchtlicher Größe. Der Mitarbeiter einer im
Hafenbereich etablierten Mineralölfirma, Herr Armin Denz, hörte
durch Zufall davon, begab sich an Ort und Stelle und sah, dass es sich
um die Reste eines alten Schiffes handelte.
Glücklicherweise verständigte er sogleich das Landschaftsmuseum des
Niederrheins auf Burg Linn. Deren Leiterin, die Verfasserin
dieser Zeilen, stand dem ganzen Problem zunächst etwas hilflos
gegenüber. Aus der schlammigen, halb gefrorenen Brühe des zukünftigen
Hafenbeckens ragten nur einige bizarre Balken und Bretter hervor, der
riesige Bagger stand daneben und wartete darauf seine Tätigkeit
fortzusetzen, wodurch in wenigen Minuten die hölzernen Trümmer spielend
beseitigt worden wären. Dass es sich bei diesen Trümmern wirklich um
Reste eines Schiffes handelte, war unschwer zu erkennen. Über das Alter
des Fundes lieferten einige bei den Holzresten aufgelesene Tonscherben
einen ersten Ansatzpunkt: sie stammten alle aus dem
Mittelalter und ließen sich ungefähr
dem 13. oder 14. Jahrhundert
zuweisen.

Zunächst
ging es darum den Bagger am Weiterarbeiten an dieser Stelle zu hindern.
Es war ein großes Glück, dass die Mitarbeiter der Firma Trapp, allen
voran der örtliche Bauleiter, Herr Koppenburg, viel Verständnis
für das seltsame Anliegen einer Archäologin zeigten. Sie zogen den
Bagger zunächst ab und setzten ihn an anderer Stelle ein.
Inzwischen war der Direktor des Deutschen Schiffahrtsmuseums in
Bremerhaven, Dr. Detlev Ellmers, telefonisch von dem Fund
benachrichtigt worden. Er opferte ein freies Wochenende, um sogleich
nach Krefeld zu fahren und sich das Wrack anzusehen. Sein Urteil: ein
sensationeller Fund! Nach seiner Meinung musste unbedingt versucht
werden, das Schiff zu bergen. Dem Landschaftsmuseum stehen in den
Wintermonaten keine Grabungsarbeiter zur Verfügung und es fehlten vor
allem sämtliche technischen Hilfsmittel, die für die Bergung eines so
umfangreichen Objekts notwendig sind.
Zu den
vielen Glücksfällen dieser ungewöhnlichen Unternehmung gehörte es, das
am Krefelder Rheinhafen eine Kompanie von Flusspioniere der
Bundeswehr liegt und das der Chef, Major Fournier, sofort
begeistert zustimmte, als er um Hilfe gebeten wurde. So rückte am 26.
Januar, einem eiskalten Tag, eine Bundeswehreinheit in Zugstärke und mit
allem notwendigen Gerät versehen, zu der Fundstelle. Eine dringend
benötigte Planierraupe stellte uns die Firma Trapp kostenlos zur
Verfügung. Bis zu den Knien im eiskalten, schlammigen Wasser watend,
pumpten und schabten die Soldaten drei Tage lang unermüdlich, bis das
Schiffswrack, soweit überhaupt noch vorhanden, freigelegt war.
(Abb. 3)

(Dankbar
sei hier vermerkt, dass ein einziger Anruf bei der Firma Dujardin im
nahen Uerdingen genügte, und schon wurden mehrere Kartons voll kleiner
Flaschen mit jenem bekannten, nach seinem Ursprungsort benannten
hochprozentigen Gewässer gespendet, das für innere Erwärmung aller
Beteiligten sorgte und die schlimmsten Erkältungen verhüten half. Die
Brauerei Tivoli sorgte darüber hinaus dafür, dass die Soldaten am Abend
ihren Durst mit "Pils" und "Alt" löschen konnten.)
Die
Bergungsarbeiten, die vom Restaurator des Landschaftsmuseums, Joachim
Hamacher, geleitet wurden, zogen auch ein Team des Deutschen Fernsehens
an, und an zwei Abenden wurde in einer Sendung "Hier und Heute" darüber
berichtet.
Leider
zeigte sich beim weiteren Fortschreiten der Arbeit, dass das ganze Heck
des Schiffes bereits dem Bagger zum Opfer gefallen war. Die Bergung des
noch vorhandenen Teils war aber noch schwierig genug. Nach der
Freilegung hatten wir zunächst versucht dass verbliebene Wrack im Ganzen
zu heben. Es wurden in mühevoller Arbeit Stahltrossen unter den
Schiffsplanken befestigt und der riesige Bagger der Firma Trapp kam
wieder angefahren, um das ganze auf einen daneben in Bereitschaft
stehenden LKW. zu heben.
Es
erwies sich jedoch, das das Holz bereits zu brüchig war, um diese Aktion
heil zu überstehen und so musste das Unternehmen wieder abgebrochen
werden. Wir versahen nun die Planken und Spanten durchgehend mit
Nummern, zerlegten das Schiff in viele Teile und verfrachteten es so zur
Burg Linn. Nun war Eile geboten, denn erfahrungsgemäß fängt Holz , das
lange im Wasser gelegen hat, sehr schnell an zu schrumpfen und zu
reißen, sobald es trocken wird. Herr W. Lahn vom Deutschen
Schiffahrtsmuseum kam dankenswerter für rund 2 Wochen nach Krefeld,
sichtete, ordnete und vermaß fachmännisch die Schiffsteile, bis
schließlich auf dem Hof neben dem Landschaftsmuseum der Rheinkahn, oder
vielmehr das, was von ihm noch erhalten geblieben ist, originalgetreu
wieder aufgebaut war (Abb. 4).

achdem
alles genau registriert, photographiert und gezeichnet war, wurde das
Schiff erneut in seine Einzelteile zerlegt und trat auf einen Lastwagen
die Reise nach Bremerhaven an. Die Holzplanken und Spanten müssen
mehrere Jahre lang mit einer Holzschutzlösung getränkt werden um sie auf
Dauer erhalten zu können, und das Landschaftsmuseum besitzt keinerlei
Einrichtungen für eine solche Konservierung, die nicht nur teuer und
zeitaufwendig ist sondern auch beträchtlichen Raum beansprucht. Das
Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven, wohin das Wrack gebracht
worden war, besitzt eine vor etlichen Jahren in Bremen entdeckte
Hanskogge, ebenfalls rund 600 Jahre alt, und dafür musste ein
Bassin von entsprechender Größe geschaffen werden. In dieses wurde jetzt
auch die Überreste des Krefelder Rheinkahns gebracht und beide schwimmen
jetzt in derselben Holzschutzlösung.
Es sind freilich zwei recht ungleiche Schwestern, die da nebeneinander
im Bade liegen, die elegante Hansekogge und der plumpe Lastkahn vom
Rhein, von dem ein Mitarbeiter des Schiffahrtsmuseums beim ersten
Anblick ironisch geäußert hatte, er dürfte wohl hauptsächlich deshalb
geschwommen sein, weil Holz eben leichter sei als Wasser............
Genauere Berechnungen haben dann aber
doch ergeben, dass der Kahn trotz seiner wenig gefälligen Form sehr
geeignet war, seine Aufgabe, den Transport von Lasten über den Rhein, zu
erfüllen. Er trägt die Spuren fleißiger Benutzung und blieb wohl erst
dann am Rande eines Rheinarmes liegen, als das Holz nach vielen Jahren
brüchig geworden war und die Schiffer nasse Füße bekamen, wenn sie damit
über den Fluss setzten.
Der Schiffsfriedhof muss gleichzeitig als Schuttabladeplatz gedient
haben, denn nur so lassen sich die großen Mengen von Tierknochen,
Scherben und anderen Abfällen erklären, die wir ringsum und auf dem Kahn
angetroffen hatten. Die Scherben waren für uns äußerst wichtig, liefern
sie uns doch den einzigen Anhaltspunkt für die Datierung. Sie stammen,
wie schon gesagt, aus dem
13. oder 14.
Jahrhundert und da sie z. T. auf dem Schiff lagen, kann
dieses auf keinen Fall später an diese Stelle gelangt sein. Nicht lange
danach muss der Rheinarm, vermutlich infolge Hochwassers, zugeschwemmt,
den Kahn mit Schwemmsand überdeckt worden sein. So blieb er über rund
sechs Jahrhunderte erhalten.
Wenn in einigen Jahren die Restaurierung
beendet ist, wird der Bug des Schiffes nach Krefeld zurückkehren und im
Landschaftsmuseum des Niederrheins zu sehen sein.
Das Deutsche Schiffahrtsmuseum in
Bremerhaven wird als Lohn für seine Mühe den Mittelteil behalten und
später in seinen Räumen ausstellen. Dort repräsentiert er dann als vorläufig einziges im Original erhaltenes Schiffsteil die
Rheinschifffahrt des Mittelalters.
Renate
Pirling

on dem Schiff war kaum mehr als das
vordere Drittel verhältnismäßig unversehrt erhalten. Dazu kamen noch
einige aus dem Baggergut aufgelesene Teile. Es gelang W. Lahn
(Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven), daraus eine in
wesentlichen Teilen gesicherte Rekonstruktion wiederzugewinnen
(Abb. 5),
deren Grundlagen an anderer Stelle ausführlich berichtet wird. Dem an
den schnittigen Linien der Wikingerschiffe geschulten Auge wird der
schwere Frachtkahn von wenigstens 14,50 m Länge, 3,36 m größte Breite
mittschiffs 0,82 m Höhe reichlich plump erscheinen, vermochte er
doch bei 5 t Eigengewicht nur noch etwa 5—7 t Ladung tragen. Mit seinem leicht trapezförmigen flachen Boden, dem Spiegelheck,
den weit ausladenden Seitenwänden und dem nur angehobenen Bug gleicht er
eher einer riesigen Schaufel als einem Schiff. Ausgerechnet am Bug, wo
andere Schiffe Schutz gegen Wellen besonders hoch gebaut werden, hat
dieses durch die fehlende Bordwand im unbeladenen Zustand seine
niedrigste Stelle. Dennoch war die Konstruktion keineswegs so
unpraktisch wie es auf den ersten Blick erscheint.
Die Berechnungen zeigen, dass die Fracht
hauptsächlich im hinteren Schiffsteil gestapelt wurde, das Schiff hier
also tiefer im Wasser lag als vorne. Bei allen Beladungszuständen ergab
sich dadurch ausreichender Überhang des Bugs mehr als einem Meter. Das
Schiff konnte allerdings nur auf Binnengewässern geringer Wellenhöhe
fahren; für die bewegte See oder auch nur für die Fahrt durch
Stromschnellen war es ungeeignet. Es konnte aber mit seinem leicht
aufgebogenen Bug wie heute noch viele Fähren auf jedes schräg ins Wasser
abfallende Ufer auflaufen und über den breiten Bugbalken entladen
werden, auf dem die Spuren reichlicher Abnutzung noch heute zu sehen
sind.
Besondere Hafeneinrichtungen wie
Kaimauern oder Verladeanlagen waren für dieses Schiff weder zum Landen
noch zum Beladen nötig. Selbst schwere
Fässer (bis zu 1 000 l
Fassungsvermögen) konnten ohne weiteres von Land an Bord gerollt
werden. Das war ganz besonders praktisch, denn Fässer waren die
Container des Mittelalters. Beim Entladen tauchte das Heck zwar immer
weiter aus dem Wasser heraus, gleichzeitig neigte aber der Bug nach
unten, so dass das Schiff auch weiterhin relativ fest an einem einmal
eingenommenen Landeplatz liegen blieb.
Etwa 2 m vor der Schiffsmitte stand ein
Mast. Wahrscheinlich war an seiner Spitze die Treidelleine befestigt,
die man verhältnismäßig hoch anbringen musste, damit beim Durchhängen
sie nicht ins Wasser tauchte. Möglicherweise hat der Mast aber auch ein
Segel getragen.

Aus der selben Fundschicht stammt
nämlich ein hölzernes Seitenschwert, wie es bei flachbodigen
Segelschiffen verwendet wird. Leider ließ sich seine Zugehörigkeit zu
dem ausgegrabenen Schiff nicht sichern.
Die Bedeutung des bisher einzigartigen
Schiffsfundes liegt einerseits in dem umfassenden Einblick, den er in
die Bedingungen mittelalterlicher Rheinschiffahrt und
Hafenbetriebe gewährt. Andererseits ist er ein bisher noch fehlendes
Glied in der langen Kette einer Schiffbautradition, die sich bis tief in
vorgeschichtliche Zeiten zurückverfolgen lässt.
Schon die
Kelten
haben Boote dieses Typs gefahren. Das kleine
Goldmodell eines Bootes
vom
Dürrnberg
bei
Hallein aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.
zeigt den
charakteristischen trapezförmigen Grundriss mit dem breiten Heck
(Abb. 2).
Wer sich über den eigenartigen Schiffsgrundriss wundert, braucht sich
nur vor Augen zu halten, dass die Vorbilder für den Schiffstyp Einbäume
waren, bei denen sich diese Form aus dem natürlichen kegelförmigen
Wachstum des Baumstammes von selbst ergibt. Im Gebiet der oberen Donau
sind solche Einbäume bereits aus dem 10. bis 7.
Jahrhundert v. Chr. Fürstenhelm Trotz der geringen Größe (Länge
nur 6,6 cm) ist am Dürrnberger Modell auch eindeutig der
schaufelförmig offene Bug zu erkennen, der das Landen und Beladen so
einfach macht.
Als das Rheinland Teil des
Römerreiches wurde, baute die
einheimische Bevölkerung ihre Schiffe unverändert in der alt gewohnten
Technik weiter. Das zeigt besonders eindrucksvoll der Grabstein des
Mainzer Schiffers Blussus aus der Zeit der Romanisierung der
Kelten. Blussus selbst trägt
noch einen keltischen Namen, aber seinem Sohn hat er bereits den
römischen Namen Primus gegeben. Auch sein Schiff gehört derselben Typenreihe mit kantigen Formen und schwerem Heck an, in dem außer dem Steuermann auch noch vier Ruderknechte Platz fanden
(Abb. 1).
Nur der zum Landen so bequeme offene Bug ist hier durch einen steileren,
noch über die Bordwand hinaufgebogenen, sog. Heven ersetzt. Gut
zu erkennen ist auch der kurze, weit nach vorne gerückte Treidelmast.

Nicht wesentlich anders hat man sich das
Krefelder Schiff des 13.—14. Jahrhunderts
vorzustellen (Abb.4, 5).
Es zeigt, dass die keltische Schiffbautradition
nicht nur das Ende der politischen Selbständigkeit der
Kelten überlebt hat, sondern ebenso
das Ende des Römischen Reiches. Auch
nach der fränkischen Landnahme muss
es am Rhein noch genügend römische Bootsbauer und Schiffer gegeben
haben, die solche Schiffe bauen und handhaben konnten und ihr Können an
Kinder und Kindeskinder weitergaben, die bald mit den
Franken zu einer einheitlichen
Bevölkerung verschmolzen.
Wie ihre
keltischen Vorgänger hatten auch die Zimmerleute des
mittelalterlichen Boots zuerst die Eichenbretter des Bodens
nebeneinander gelegt und an zwei bis drei Stellen mit einem Querbrett
zusammengeheftet. Mit Hilfe von Feuer und Wasser bogen sie die etwa 7 cm
dicken Bodenbretter für den Bugteil hoch, bis sie den unteren
Plankengang mit Holzdübeln daran befestigen konnten. Noch zwei weitere
Plankengänge wurden Kante auf Kante draufgesetzt, die zunächst auch
wieder nur von wenigen Spanten gehalten wurden. Die meisten
Spanten wurden erst nach Fertigstellung der Bootshaut eingepasst.
Sie bestanden aus naturkrummem Eichenholz, liefen über die
gesamte Breite des Bodens, stützten aber jeweils nur eine Bordwand, und
zwar wie in keltischer Zeit immer
abwechselnd die eine oder die andere. Nur mit Eisennägeln war der
mittelalterliche Zimmermann viel sparsamer als der
keltische. Fast alle Verbindungen zwischen Spanten
und Planken führte er mit Holzdübeln aus. Nur an wenigen Stellen
verwendete er die in typisch keltischer Weise
umgebogenen großen Eisennägel.
Eine mittelalterliche Erfindung waren
nur die eisernen Kalfatklammern, durch die das in die
Plankennähte gestopfte Moos daran gehindert wurde, aus den Fugen
herauszurutschen.
Mit dem mittelalterlichen Frachtkahn
vom Niederrhein reißt aber die Geschichte dieses Schiffstyps
keineswegs ab. Auf niederrheinischen Stadtansichten des
19. Jahrhunderts ist er ab und an
noch zu finden. Ja, selbst in unseren Tagen ist er noch nicht völlig
ausgestorben. Die Schweizer Pioniere fahren mit ihm auf den
Alpengewässern und die Bamberger Fischer auf der Regnitz, wobei das
Spiegelheck zum Aufhängen eines Außenbordmotors verwendet wird
(Abb. 6).
Die heute noch benutzten Boote sind nicht halb so lang wie das
Krefelder Schiff, wesentlich schlanker und auch sehr viel leichter
gebaut. Sie dienen ja auch nicht mehr dem Frachttransport. Aber in Form
und Bauweise sind sie die letzten Zeugen einer über
dreitausend Jahre
verfolgbaren Schiffbautradition, in
der das Krefelder Schiff das Mittelalter vertritt.
Detlev Ellmers
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